
Tiergestützte Therapie mit Ratten- ein Ding der Unmöglichkeit?
Sie sind klein, flink, neugierig – und völlig unterschätzt. Während Hunde und Pferde längst etablierte Co-Therapeuten sind, begegnen viele der Vorstellung, mit Ratten zu arbeiten, zunächst mit
Skepsis. Doch genau hier liegt ein enormes Potenzial: Die Hausratte (Rattus norvegicus domesticus) ist ein wahres Multitalent in der pädagogischen und therapeutischen Arbeit.
Vorurteile- Ein Thema, das sie selbst gut kennen
Ratten haben ein massives Imageproblem – lange verkannt, oft gefürchtet. Doch wer sich näher mit ihnen beschäftigt, entdeckt ein erstaunlich reinliches, intelligentes und soziales Wesen.
Ratten zeigen Teamgeist: Sie helfen verletzten Artgenossen, befreien einander aus engen Situationen und machen ihre Menschen auf Probleme im Rudel aufmerksam. Wer sich auf sie einlässt, wird oft selbst Teil ihres sozialen Gefüges – ein wertvoller Perspektivwechsel, gerade in der pädagogischen oder therapeutischen Arbeit.
Warum also Ratten?
Ratten sind hochintelligente, soziale Tiere mit einem feinen Gespür für Stimmungen. Sie erkennen Emotionen in Gesichtern, lernen Namen, spüren feinste Schwingungen ihres Gegenübers und suchen aktiv den Kontakt zum Menschen – sofern sie artgerecht gehalten und gut sozialisiert sind.
Anders als große Tiere wirken sie nicht einschüchternd, dennoch werden sie in der Regel respektiert. Und sie sind Experten, wenn es um Vorurteile und Ausgrenzung geht. Das ist ihr Steckenpferd und unseres, wenn wir mit ihnen arbeiten.
„Seelenflicker“ mit Zauberpfötchen
Knuspern, fiepen, Ohren wackeln, Schwanz schlagen, Zähne knirschen...
Und dann noch unzählige kleine Körpersignale – ganz zu schweigen von der geheimen Ultraschall-Kommunikation, die unseren menschlichen Ohren völlig verborgen bleibt – so plaudern Ratten
miteinander.
Auch bei ihnen gibt es die bekannten vier Fs der Stressreaktion: fight, flight, freeze, fool around. Manche albern herum, andere hauen einfach ab, wenn ihnen etwas zu bunt, zu laut oder zu lästig wird. Sie schieben deine Hand weg, wenn ihnen Nähe zu viel ist – und sind insgesamt spannend, clever, sensibel und anspruchsvoll.
Ratten faszinieren alle, die bereit sind, ihnen Tür, Herz und Seelenstübchen zu öffnen. In der tiergestützten Pädagogik sind sie wahre Alleskönner. Ich bezeichne sie gerne als Seelenflicker – denn genau das können sie mit ihren Zauberpfötchen: wunde Seelen ein bisschen heiler, fröhlicher und zuversichtlicher machen.
Ein Perspektivwechsel, der sich lohnt
Wer sich einmal auf Ratten eingelassen hat, wird schnell ihre sanfte, wache und witzige Art bald schätzen lernen. Sie sind keine exotische Spielerei, sondern ernstzunehmende Partner in der Arbeit mit Menschen – zuverlässig, anpassungsfähig und voller Charakter. Sie sind Botschafter und Brückenbauer. Als Brückenbauer fungieren sie nicht nur zwischen Mensch und Tier, sondern auch zwischen Menschen selbst – insbesondere jenen, die sich ausgegrenzt oder unverstanden fühlen.
Spannend ist auch ihre Geschichte: Die heutige Farbratte stammt von der wilden Wanderratte ab – einem Tier, das bis heute bekämpft wird. Domestizierte Ratten kamen einst über Schausteller in Versuchslabore und später in unsere Haushalte. Erst in den letzten Jahren hat sich die Forschung intensiver mit ihrer Lebensweise beschäftigt – mit bemerkenswerten Ergebnissen.
Ratten sind kooperativ, verzichten sogar auf Nahrung, wenn ein anderes Tier sonst leiden müsste, und helfen auch dann ihren Artgenossen, wenn diese gar nicht zum eigenen Rudel gehören. Kurz: Ratten sind empathischer, als viele vermuten. Wir können viel von und mit Ratten lernen, viele Themenbereiche zusammen mit ihnen bearbeiten, aufarbeiten und hinterfragen. Und wir können uns ein Vorbild an ihnen nehmen.
Fazit: Tiergestützte Therapie mit Ratten?
Aber sowas von!